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Sonntag, 25. September 2016

Unsere Wahrnehmung


Unsere Wahrnehmung


Marina arbeitet bei der Spitex, dem ambulanten Pflegedienst der Gemeinde. Sie macht diese abwechslungsreiche Arbeit mit viel Freude. Seit kurzer Zeit betreut sie auch Frau Müller, die ihr neu zugeteilt wurde. Sie wohnt in einer hübschen kleinen Wohnung und ist nach dem Besuch beim mürrischen Herr Bianchi an der Reihe.
Doch immer, wenn Marina Frau Müllers Wohnung betritt, fühlt sie sich etwas unwohl. Marina kann sich das gar nicht erklären, denn Frau Müller ist eigentlich netter als Herr Bianchi. Nach einiger Zeit stellt Marina sogar fest, dass sie inzwischen sehr ungern zu Frau Müller geht und beim Besuch der alten Dame zunehmend ein mulmiges Gefühl hat. Zuerst macht sie sich Vorwürfe deswegen, dann versucht sie herauszufinden, was sie an Frau Müller so stört. Achtsam beobachtet sie darum ihre Gefühle und Emotionen, sobald sie sich vom einsamen Herr Bianchi mit einem nachsehenden Lächeln verabschiedet hat. Nach kurzer Zeit nimmt Marina wahr, dass der Geruch in der Wohnung der Auslöser für ihr unangenehmes Gefühl im Kontakt mit Frau Müller ist. Es riecht bei ihr sehr oft nach Kohl und diesen Geruch kann sie seit ihrer Kindheit kaum ertragen. Denn genau so hat es aus der Wohnung der alten Weber gerochen, die Marina als Kind sehr gefürchtet hat, weil sie ständig etwas zu reklamieren hatte.

Sobald Marina diese Wahrnehmung gemacht hat, kann sie ihre Gefühle einordnen.
Sie wird sich bewusst, dass sie lieber zum mürrischen Herrn Pestalozzi geht, weil es bei ihm an der Wohnungstür immer nach frisch gekochtem Kaffee riecht.
Sie weiss nun aber auch, dass ihre negativen Gefühle beim Betreten des Hauses von Frau Müller nichts mit dieser Kundin zu tun haben und, dass sie selber ganz alleine dafür verantwortlich ist.


Wahrnehmung:
Wahrnehmung ist die Aufnahme von Informationen und findet laufend über alle unsere fünf Sinne statt.
Wir sehen, hören, riechen, schmecken und ertasten ständig, darum ist die Zahl dieser Informationen immens.
Aber nur einen winzigen Bruchteil der vorhandenen Informationen nehmen wir tatsächlich auch wahr. Denn wir filtern die unzähligen Reize und Eindrücke, denen wir ständig ausgesetzt sind.
Wir wählen diejenigen aus, die für uns wichtig sind oder uns gerade interessieren. Aber auch das Neue, Ungewohnte oder Andersartige nehmen wir meist bewusster wahr, als das Gewohnte und das Übliche.
Meistens geschieht diese Auswahl unbewusst, unreflektiert und wird auch unbewusst verarbeitet.
Daraus ergibt sich oft ein bestimmtes oder unbestimmte Gefühl.

Was wir wahrnehmen, basiert auf unseren Erfahrungen, Einstellungen und Motiven. Aber auch unsere aktuellen Gedanken und Umstände sind massgebend. Dabei spielt die momentane Aufmerksamkeit, Konzentration und besonders die emotionale Verfassung eine wichtige Rolle. Freude, Trauer, Aufregung, Ärger, Wut, Gleichgültigkeit oder Überforderung, alle eigenen Gefühle und Befindlichkeiten können dazu beitragen, dass Reize sofort wahrgenommen werden oder kaum ins Bewusstsein vordringen.

Wahrnehmung erfordert darum Achtsamkeit.
Achtsamkeit bedeutet, sich innerlich auf seine aktuelle Umgebung und Situation einzustellen und zu konzentrieren, auch wenn starke Emotionen oder Einflüsse von aussen die bewusste Wahrnehmung beeinträchtigen.
Eine bewusste Wahrnehmung kann man trainieren. Anfangs können Achtsamkeitsübungen hilfreich sein, später genügt es, sich einfach mehrmals täglich die bewusste Wahrnehmung wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Unsere Welt besteht also aus dem, was wir selektionieren und dann wahrnehmen. Und so individuell diese Wahrnehmungsbilder jedes einzelnen sind, so individuell entwickelt sich jeder Mensch, denn jeder lebt sozusagen in seiner eigenen Welt. Diesen Weltbildern vertrauen wir – Bildern von liebevollen und schmerzhaften Erfahrungen, von Sprungbrettern und Stolpersteinen, von Höhenflügen und Peinlichkeiten, von Erfolgen und Misserfolgen oder dem Glück und den Ängsten aus längst Vergangenem.
Für jeden von uns ist sein Weltbild – das heisst: seine Sicht der Dinge – das wirklich Wahre.
Das gilt es bei Konflikten zu berücksichtigen. Denn  tatsächlich existiert nicht ein einziges richtiges Bild oder eine einzige Wahrheit, wie Probleme gelöst werden können.









:)




Sonntag, 4. September 2016

Der Nachrichten-Tsunami


Der Nachrichten-Tsunami


Den täglichen Nachrichten über Terror, Krieg und Gräueltaten kann sich im Moment wohl kaum jemand entziehen. Sie kommen nicht mehr in Wellen, sie überfluten uns wie ein Tsunami. Während andernorts Bomben fallen, werden wir augenblicklich mit den entsprechenden Bildern und Nachrichten bombardiert. Unaufhörlich! Und sie werden immer grausamer, unerträglicher und belastender – die Bombardemente, die Bilder und die Nachrichten dazu. So empfinde ich es jedenfalls. Ich kann das Ganze kaum mehr verarbeiten, ich bin mit der Nachrichtenflut überfordert! Aber wie kann ich mich dem Tsunami entziehen?
Einfach keine Info-Sendungen mehr ansehen, keine Nachrichten mehr anhören, keine Zeitungen mehr lesen, Twitter einfach löschen?
Als politisch interessierter Mensch geht das nicht so einfach. Ich möchte ja wissen, was sich hierzulande tut, wie sich die Schweiz entwickelt, welche Probleme hier gelöst werden sollten und wie wir unseren innerstaatlichen Frieden möglichst erhalten können. Denn die nächsten Abstimmungen kommen bald und da will ich nicht anhand von Parolen, sondern mit fundiertem Wissen daran teilnehmen.
„Lass alles nicht so an dich heran”, rät man mir.
Sicher gut gemeint, jedoch für mich nicht praktikabel. Ich habe keinen Panzer, sondern bloss eine Haut und die ist in der letzten Zeit dünner und verletzlicher geworden, das gebe ich zu.

Es steht schlimm um die Welt! Überall Krieg, Terror, Unterdrückung, Attentate und unvorstellbares Leid. War es früher anders oder haben wir vieles davon einfach nicht mitbekommen?
Man hat auch das Gefühl, dass es nicht nur immer schlimmer und mehr wird, man denkt, dass es auch immer näher kommt. Aber stimmt das wirklich?
In den 70er- bis 90er-Jahren töteten meist europäische Terrorzellen jährlich 100 bis 400 Menschen in Europa. Haben wir das schon vergessen? An einen Terroranschlag in der Schweiz kann sich vermutlich kaum noch jemand erinnern. Auch die Morde gehen seit 30 Jahren ständig zurück – von 110 im Jahr 1990 auf 46 im Jahr 2014. Die Schweiz steht somit weltweit an der 208. Stelle von den 218 erfassten Länder (Wikipedia)

Mir geht es also gut hier. Ich lebe in einem sicheren und friedlichen Land, mit einer Regierung die ich selbst mitwählen konnte. Ich wohne in einer schönen Wohnung, mit Nachbarn die mich respektieren. Ich habe jeden Tag genug zu Essen, das ich mir gut leisten kann und ich habe sauberes Trinkwasser, das sogar direkt aus dem Wasserhahnen kommt. Dafür bin ich dankbar.
Doch manchmal habe ich fast ein schlechtes Gewissen. Denn obschon ich bewusst eher bescheiden leben, lebe ich im Verhältnis zum grössten Teil der Weltbevölkerung im Luxus - und bin mir das meistens gar nicht bewusst. Habe ich das verdient oder anders gefragt, was ist mein Verdienst an diesem privilegierten Leben? „Nichts”, müsste ich antworten, ich wurde einfach in dieses Land geboren. Glück gehabt!
Also müssten mich die schrecklichen Bilder aus den Kriegs- und Krisengebieten glücklich und zufrieden machen. Doch das tun sie nicht.

Das Flüchtlingselend, das sich inzwischen zu einer richtigen Völkerwanderung entwickelt hat, geht mir immer mehr zu Herzen. Sechzig Millionen Menschen, vertrieben, entwurzelt, entzweit. Sie verlieren ihre Heimat, ihre Familie und leider oft auch ihre Hoffnung. Aber was geht das mich an? Die haben doch einfach Pech gehabt, dass sie nicht hier geboren wurden – oder?
Und was sollen wir denn tun – Geld spenden, Flüchtlinge im Haus aufnehmen oder gar hinfliegen und für Frieden sorgen?
Ich verstehe, dass nicht alle, denen es schlechter geht, zu uns kommen können. Ich weiss auch, dass wir heute die vielen schweren Fehler, die der Westen als Kolonialmächte und Kriegstreiber in der Vergangenheit gemacht haben nicht so schnell ausbügeln können. Ich bin mir auch bewusst, dass viel von unserem Reichtum aufgrund von Ausbeutung, gerade in diesen Flüchtlings-Ländern, zustande kam.
Vielleicht machen mir gerade darum diese Nachrichten immer mehr Angst. Ich frage mich, wo führt das alles hin? Gibt es einen neuen Weltkrieg oder holen die, die nichts haben, einfach das zurück, was wir ihnen genommen und jetzt zu viel haben? Ausgleichende Gerechtigkeit?

Das Dilemma ist doch, dass ich an der ganzen Situation nichts ändern kann. Darum sehe ich nicht ein, warum ich über jeden Toten auf dieser Welt informiert sein muss. Warum muss ich mir jedes Attentat mehrmals in den verschiedenen Nachrichten und Meldungen ansehen, anhören und lesen. Das ist doch nur Benzin ins Feuer geschüttet und Antrieb für diese Gruppierungen. Nachahmer werden ermutigt, Sympathisanten bestätigt, Fanatiker gezüchtet.
Ich will diesen Meldungen gar nicht mehr diesen Raum geben. Ich will nicht mehr wissen, was auf der ganzen Welt gerade an Schrecklichem passiert. Ich will nicht mehr über Dinge informiert werden, die mich nicht beeinflussen, sondern nur berühren. Ich will nichts mehr über die Sachen vernehmen, die ich sowieso nicht beeinflussen kann. Ich will auch nichts mehr über Politiker  oder Machthaber hören, die ich nicht gewählt habe, die ich nie wählen würde und die ich trotzdem nicht abwählen kann.
Ich will nicht mehr - ich will weniger!
Denn ich glaube, solange jeder immer mehr will – solange Geld und Besitz diese Macht besitzt und Macht und Ruhm so verführerisch ist, solange wird es Neid und Missgunst geben. Solange jeder denkt, dass der andere mehr habe, dass andere es besser hätten und, dass er besser sei als der andere, solange gibt es kein friedliches Miteinander auf dieser Erde und solange werden die News-Spalten mit Horror gefüllt werden.



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