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Sonntag, 30. November 2014

Z’viel Adventskränz? / Zuviele Adventskränze?






Z’viel Adventskränz?

E Gschicht in Mundart für mini Läsig vom 1.12.2014 im Adventskaffi vom Altersheim.
(Eine Schweizer-Hochdeutsche Übersetzung findet man anschliessend)



Es isch kurz vor em ersta Advent. D'Monika stoht in ihrem Nähzimmer und befestiget grad die vierti Kerza am Adventskranz. Dr Kranz isch mit viel früschem Chries bunda und mit dicka, rota Kerza gschmückt. Schlicht und eifach, so hät er dr Monika scho immer am besta gfalle. Sit Kindertage ghört so en Adventskranz für sie doch eifach zur Vorwiehnachtszit.

Nur im letzte Johr, do isch kei Adventskranz in der Stube gstande.
Es isch eba niemertem ums Fiere gsi.
Denn s’Grosi isch ganz schlecht zwäg gsi und de Hans, dr Monika ihre Ma, hät au no grad e schwierigi Operatiton vor sich gha.  Also für alli gar kei lichti Zit, de letschti Advent. Voller Sorga und Leid. Viel Zit hät d’Monika drum im Spitol verbrocht, hät ghofft und bangt, betet und au mängisch e Träne vergossa.  Adventsstimmig hät eso natürli keini wella ufcho.

Doch zum Glück isch es em Grosi bald wieder viel besser gange und au de Hans hät alles guet überstande. So hät me de bald wieder ganz zueversichtilich chöna in Zukunft luega und bereits an Wiehnachte, alli mitenand, es ganz bsunders schöns Fescht fiere.

Aber hür söll de Advent wieder sie wie frühener.
D'Monika hät sich fescht vorgno, dass sie sich in dene Täg jede Obet speziell viel Zit für ihri Familie wot näh. Um e chli zäma sie, Zit ha fürenand, zue z'losa und mitenand z'rede, ohni Fenseh und ohni Computer.  Öppis, wo unter em Johr eifach viel zchurz chunt. D'Monika hofft, dass sie mit dem prächtige Adventskranz die ganz Familie defür cha begeistere.
Mi hät doch letscht Johr gmerkt, wie schnell, dass alles andersch cha si.

D’Monika stellt de Kranz in der Stuba ufe s klis, runds Tischli und isch ganz gspannt, was de Ma und d’Tochter zu ihrer Idee wärdet säge.

Bald goht d’Hustür uf und de Hans chunt heim.
„Bisch du scho do“, frogt d’Monika erfreut und hilft ihm usem Mantel.
„Jo, ha hüt e chli früehner Firobig gmacht. Und zudem hani im Sinn, bis  Wiehnachte wieterhin pünktlich im Gschäft ufzhöra. E chli bsinnlichi Vorwiehnachtsstimmig zäma mit dr Familie, das tuet doch mim gflickte Herz und au üs allne guet.
Viellicht machemer jo ab und zue en obendliche Spaziergang und luegend noch em Idunkla ds  festlich gschückte Dörfli a chli a.
Oder mir zündet eifach d'Kerza vom Adventskranz a und drinkend zäma mit de Ella es Punsch und esset Manderinli und Nüssli. Eifach gmüetlich a chli zäma sie – was meinsch?“
D'Monika nickt und strahlt.
„Lueg“, seit de Hans, „ich han dezue extra an Adventskranz poschtet. Es isch halt e chli e moderna, aber es hät nüt anders ka.“

De Hans zauberet usem Papier vom Bluemelade e Karnz us Olivezweig, gschückt mit verschiedene Nüss, tröchnete Orangenschieba, Zimtstanga, Sternänis, Föhrezäpfli und kliena, silberiga Sterna und Kugla. Dezue vier Kerza in tüschend echter Öpfelform.
„Er isch e chli türer gsi, aber ich han denkt, wenn du scho letscht Johr wäga mier häsch müessa druf verzichte, de darfs auch emol öppis exklusivs si, gell Schatz.“

„Jo klar, Hans, das isch e gueti Idee und de Kranz isch würkli wunderschön.“
D’Monika lacht und zücht ihra Ma in d’Stube.
„Lueg, ich han hüt die glich Idee ka! Aber, dine Adventskranz isch natürlich viel schöner als mine do. Drum bhaltemer dine und mine schenkemer der Vroni näbadra. In ihrem Alter leischtet sie sich sicher keine meh, sie muess jo susch scho hushalte mit dera chlina Renta. Sie wird bestimmt Freud an im ha, grad so wie ich jetzt an dim. Zudem lade i sie de au grad no i, zum öpa mit üs e chli cho Advent zviere. Das isch doch schöner als so allei.
D'Monika stellt jetzt de Adventskranz vom Hans ufs Tischli.

Churz drufaba chunt die chli Ella vo dr Schuel heim und verschwindet grad gheimnissvoll in ihrem Zimmer. Doch bald chunt au sie mit emene Gschänk in d’Stube.
„Ich han dänkt, hür wemer wieder richtig Advent fiere, so wie immer. Drum hani selber e Adventskranz baschtlet.“

D’Ella stellt die silbrig Chuechaplatte mit de usgstanzte Wiehnachtsmotiv uf de Tisch. Druf hät sie es paar Zwiegli vom Eibabaum im Garte, vier blaui Kerze, es paar farbigi Chugla und Figürli us de Wiehnachtschachtel und es paar Gschenkbändeli hübsch drappiert.

„Das isch denn toll!“ De Papi isch ganz begeisteret.
„Jo, würkli schön“, seit au s'Mami,  „das wird jetzt üsa Advetskranz, gell Papi?“
„Das isch doch klar“, seit de Papi und lächlet.
„So en kreativa Adventskranz hämer no nie ka. Ich denka, dass ds Kinderheim sicher froh isch, wenn's no e Adventskranz für de Esssaal oder de Igangsbereich überchunt. Drum bringemer mitenand dä Kranz vo mir, morn am Obedet mit es paar Nüssli und Manderinli de Chind vom Heim, iverstande?“
Alle sind vom Vorschlag begeistert und de Ella ihres Adventsgsteck wandert jetzt ufs Tischli.

Noch em Znacht, es isch scho chli spot, lütets no an der Hustüre.
„Sind er no uf?“, frogts Grosi, wo im dicke Mantel dussa stoht.
„Ich wott Euch nur no schnell de Adventkranz, wo ich hüt Obet für Euch gmacht han, bringa. Ich han denkt, wenn ihr wäge mier letscht Johr kei schöna Advent ka händ, de söllit ihr hür de Adventskranz vo mier gschenkt über cho. I hane gmacht wie immer, mit viel früschem Chries und vier dicka, rota Kerza. Schlicht und traditionell, wie in de letschte 50 Johr immer.“
S’Grosi blinslet de Monika vielsägend zue.

„Ou Grosi, danka viel mol. Aber jetzt muesch emol cho luega...“
Ds Grosi wird in d’Stuba gfüehrt, wo scho drü Adventskränz stönd.
„Hoppla!“, seits Grosi. „In dem Johr isch er würklich do, de Advent.“
„Jo, grad vier mol!“, kichert d’Ella .

„Aber dine, Grosi, de bhaltemer für üs, wenn d'Ella iverstande isch. Das isch doch de Adventskranz, wie mer üs gwöhnt sind. Was meinsch dezue Ella?“
„Genau, mier bhaltend em Grosi sina und ich schenka ihera mine!“
jublet d'Ella.
„Danka viel mol, Ella. Ich freue mich, denn ich merka grad, dass ich für mich selber, jo gar keine gmacht ha.“
Alli lached herzlich und d’Monika seit zum Grosi: „Gel Mama, und jetzt chunsch de jede Sunntig zum Znacht und de zündemer nochher zäme es neus Cherzli a.“
© Copyright by Herr Oter (November 2014)


Adventskranz-Kierch-Wasserl
  Adventskranz Kierch Wasserliesch 
© Copyright by Autor: Cornischong in der Wikipedia auf Luxemburgisch 
Lizenz: CC-BY-SA-1.0  via Wikimedia Commons



Zu viele Adventskränze?

Schweizer-Hochdeutsche Übersetzung meiner Lesung im Altersheim vom 1.12.14


Es ist kurz vor dem ersten Advent. Monika steht in ihrem Arbeitszimmer und befestigt gerade die vierte Kerze am Adventskranz. Der Kranz ist dick mit viel frischem Tannengrün gebunden und mit dicken, roten Kerzen geschmückt. Schlicht und einfach, so hat er Monika schon immer am besten gefallen. Seit Kindertagen gehört so ein Adventskranz für sie doch einfach zur Vorweihnachtszeit.

Nur im letzten Jahr, da stand kein Adventskranz im Wohnzimmer.
Es war damals niemandem ums Feiern. Denn der Grossmutter ging es gesundheitlich sehr schlecht und auch dem Hans, dem Mann von Monika, stand zur selben Zeit eine ganz schwierige Operation bevor.
Also für alle keine leichte Zeit, im letzten Advent, voller Sorgen und Leid. Viel Zeit verbrachte Monika darum im Spital, sie hat gehofft und gebangt, gebetet und manchmal auch eine Träne vergossen. Adventsstimmung kam so natürlich keine auf.

Doch zum Glück ging es der Grossmutter bald wieder besser und auch Hans hat alles gut überstanden. So konnte man bald wieder ganz zuversichtlich in die Zukunft blicken und bereits an Weihnachten, alle gemeinsam, ein ganz besonders schönes Fest feiern.

Aber in diesem Jahr soll der Advent wieder sein wie früher.
Monika hat sich vorgenommen, dass sie sich in den kommenden Adventstagen jeden Abend besonders viel Zeit für ihre Familie nehmen will. Um zusammen zu sein, um Zeit füreinander zu haben, um zuzuhören und miteinander zu reden – ohne Fernseher und ohne Computer. Etwas, das während des Jahres einfach viel zu kurz kommt.
Monika hofft, dass sie mit diesem prächtigen Adventskranz ihre ganze Familie dafür begeistern kann. Man hat doch im letzten Jahr erfahren, wie schnell, dass alles anders sein kann.
Monika stellt den Kranz im Wohnzimmer auf einen kleinen, runden Tisch und ist ganz gespannt, was Mann und Tochter zu ihrer Idee sagen werden.

Bald öffnet sich die Haustür und Hans kommt nach Hause.
„Bist du schon hier?“ fragt Monika erfreut und hilft ihm aus dem Mantel.
„Ja, ich habe heute etwas früher Feierabend gemacht. Zudem habe ich im Sinn, bis Weihnachten weiterhin im Geschäft pünktlich Schluss zumachen. Ein bisschen besinnliche Vorweihnachtszeit zusammen mit der Familie, das tut doch meinem geflickten Herzen und auch uns allen gut. Vielleicht machen wir ja ab und zu mal einen abendlichen Spaziergang und sehen uns nach dem Eindunkeln das weihnächtlich geschmückte Dörflein ein bisschen an.
Oder wir entzünden einfach die Kerzen des Adventskranzes und trinken zusammen mit Ella Punsch und essen dazu Mandarinen und Nüsse. Einfach gemütlich etwas beisammen sein, was meinst du?“
Monika nickt und strahlt.
„Schau“, sagt Hans, „ich habe dazu extra einen Adventskranz gekauft. Es ist halt ein bisschen ein Moderner, doch es gab nichts anderes.“

Hans zaubert aus dem Papier des Blumengeschäftes einen Kranz aus Olivenzweigen, geschmückt mit verschiedenen Nüssen, getrockneten Orangenscheiben, Zimtstangen, Sternanis, Föhrenzapfen und kleinen, silbrigen Sternen und Kugeln. Dazu vier Kerzen in täuschend echter Apfelform.
„Er war etwas teurer, aber ich dachte, wenn du schon im letzten Jahr wegen mir verzichten musstest, dann darf es auch mal etwas Exklusives sein, nicht wahr mein Schatz?“

„Ja klar, Hans, das ist eine gute Idee und der Kranz ist wirklich sehr schön.“
Monika lacht und zieht ihren Mann ins Wohnzimmer.
„Schau, ich hatte heute dieselbe Idee! Aber, dein Adventskranz ist natürlich schöner als meiner hier. Darum behalten wir deinen und meinen schenken wir Vroni von nebenan. In ihrem Alter leistet sie sich sicher keinen mehr, denn sie muss ja sonst schon mit ihrer kleinen Rente sparsam sein. Sie wird bestimmt Freude an ihm haben, genau so wie ich jetzt an deinem.
Zudem lade ich sie gerade auch noch ein, um ab und zu mit uns gemeinsam Advent zu feiern. Das ist doch schöner, als so alleine.
Monika stellt nun den Adventskranz von Hans auf das runde Tischchen.

Kurze Zeit später kommt die kleine Ella von der Schule nach Hause und verschwindet sofort geheimnisvoll in ihrem Zimmer. Doch bald kommt auch sie mit einem Geschenk in die Stube.
„Ich dachte mir, in diesem Jahr wollen wir doch wieder richtig Advent feiern, so wie immer. Darum habe ich selber einen Adventskranz gebastelt.“
Ella stellt die silbrige Tor­ten­plat­te mit den ausgestanzten Weihnachtsmotiven auf den Tisch. Darauf hat sie einige Zweige des Eibenbaumes im Garten, vier blaue Kerzen, einige farbige Kugeln und Figürchen aus der Weihnachtsschachtel und ein paar Geschenkbänder hübsch drapiert.

„Das ist toll!“ Der Vater ist ganz begeistert.
„Ja, wirklich schön“, sagt auch die Mutter, „das wird jetzt unser Adventskranz, einverstanden Vater?“
„Das ist doch klar“, sagt der Vater und lächelt. „So einen kreativen Adventskranz hatten wir noch nie. Ich denke, dass das Kinderheim sicher froh sein wird, wenn es noch einen Kranz für den Speisesaal oder den Eingangsbereich bekommt. Darum bringen wir zusammen den Kranz von mir, morgen Abend mit ein paar Nüssen und Mandarinen den Kindern ins Heim, einverstanden?“
Alle sind vom Vorschlag begeistert und das Adventsgesteck von Ella wandert nun auf den kleinen Tisch.

Nach dem Abendessen, es ist schon etwas spät, klingelt es an der Haustüre.
„Seit ihr noch auf?“, fragt die Grossmutter, die im dicken Mantel draussen steht.
„Ich wollte euch nur noch schnell den Adventskranz vorbeibringen, den ich heute Abend für euch gemacht habe. Ich habe mir gedacht, dass ihr den Adventskranz in diesem Jahr von mir geschenkt bekommen sollt, weil ihr im letzten Jahr wegen mir keinen schönen Advent hattet. Ich habe ihn gemacht wie immer, mit viel frischem Tannengrün und vier dicken, roten Kerzen. Schlicht und einfach, wie in den letzten 50 Jahren immer.“
Dabei zwinkert die Grossmutter, Monika vielsagend zu.

„Ach Grossmutter, vielen Dank. Aber nun musst du mal sehen...“
Die Grossmutter wird in die Stube geführt, in welchem bereits drei Adventskränze stehen.
„Hoppla“, sagt die Grossmutter. „In diesem Jahr ist er wirklich gekommen, der Advent.“
„Ja, gerade vier mal!“ kichert Ella.

„Aber deiner, Grossmutter, den behalten wir für uns, wenn Ella damit einverstanden ist. Das ist doch ein Adventskranz, wie wir ihn gewohnt sind. Was meinst du dazu Ella?“
„Genau, wir behalten den von Grossmutter und ich schenke ihr meinen!“, jubelt Ella
„Herzlichen Dank, Ella. Ich freue mich, denn ich merke gerade, dass ich für mich selber, gar keinen gemacht habe.“
Alle lachen herzlich und Monika sagt zur Grossmutter: „Nicht wahr, Mutter, nun kommst du jeden Sonntag zum Abendessen und danach zünden wir gemeinsam eine neue Kerze an.“
© Copyright by Herr Oter (November 2014)





:)

Freitag, 28. November 2014








«Niemanden interessiert unser Glück – 
sondern nur unser Geld. 
Im Geschäftsleben wollen alle mehr bekommen, 
als sie (uns) geben.»

 sagt der Sparexperte und Buchautor 
Friedhelm Schwarz.



Alte Registrierkasse, ausgestellt in einem französischen Restaurant.




:)




Dienstag, 25. November 2014

Im Wald der Engel






Im Wald der Engel


Der Friedhof hier ist nicht nur ein Ort der Toten, 
auch wenn hier viele Menschen begraben liegen. 
Hier ist  ein stiller, fröhlicher und harmonischer Ort und 
es ist doch immer noch ein lebendiger Raum –
ein Ort des Lebens...


sagt der Biologe Uwe Westphal
auf dem Ohlsdorfer Friedhof, dem grössten Parkfriedhof der Welt,
inmitten der Grossstadt Hamburg,
im  sehenswerten Dokumentar-Film: 
(link)




Sonntag, 16. November 2014

Ich bin halt nicht von hier






Ich bin halt nicht von hier



„Mir geht es richtig schlecht“, lautet die Antwort der weisshaarigen Frau auf meine Frage nach ihrem Befinden. Sie sitzt alleine am ersten Tisch im Kaffee des Altersheims.
„Ach, was ist denn heute nicht gut, Frau Bürgisser“, frage ich etwas scherzhaft.
Dabei lächle ich sie an, nichts ahnend.

„Ich mag gar nicht darüber reden“, so die mürrische Antwort nach einer kurzen Pause.
Ihre sonst leuchtenden Augen scheinen mir heute stumpf und freudlos und das doch meist freundliche Gesicht voller Runzeln, zerfurchter den je. Schnell senkt sich ihr Blick wieder auf den Tisch mit der fast leeren Kaffeetasse und dem verschmierten Kuchenteller.
Dabei sackt die adrett gekleidete Frau sichtbar etwas zusammen und verharrt geknickt auf ihrem Stuhl.
So kenne ich Anna Bürgisser gar nicht. Gerade sie, die doch sonst immer ziemlich aufgestellt und meistens fröhlich ist.
Aber heute sieht sie gar nicht zufrieden aus, ich merke es erst jetzt.
Darum setzte ich mich ihr gegenüber auf die andere Tischseite und warte erst mal ab – wir haben ja Zeit.

Inzwischen bringt man mir meinen Kaffee; ich zahle in sogleich und kippe den Rahm in die Tasse. Den Zuckerbeutel lege ich vor mir auf den Tisch. Chantal hat wieder einmal vergessen, dass ich keinen brauche. Eigentlich bräuchte ich auch nie einen Kaffeelöffel – aber was solls? Nur das beigelegte, luftdichtverschlossenen Gebäck – davon hätte ich auch zwei genommen.

„War etwa der Schokoladenkuchen nicht gut?“, versuche ich etwas später das Gespräch mit einem lockeren Spruch wieder aufzunehmen. Unschlüssig wischt die zierliche Frau einen Kuchenkrümel von der nackten Tischplatte.
„Nein, nein, der Kuchen war schon recht.“ Ich bekomme genau die Antwort, die ich erwartet habe. Denn eine Sachertorte zum Nachtisch, das ist doch bei den meisten Heimbewohner beliebt.

„Es ist etwas anderes“, fügt die mehr als Neunzigjährige nach einer kurzen Pause an und schiebt dabei den leeren Kuchenteller gegen die Tischmitte.
Ich warte – lasse Frau Bürgisser ein wenig Zeit, denn ich merke, dass sie mir den Grund schon noch mitteilen möchte.

„Etwas ist immer“, sage ich nach einiger Zeit, nur damit wieder einmal etwas gesagt ist.
Aber sie schweigt weiter – scheint über eine Sache nachzugrübeln und schüttelt dabei leicht den Kopf.
Es muss sich um etwas Schwerwiegenderes handeln, das sie belastet. Denn die sonst recht fröhliche und positiv denkende Bewohnerin ist doch im allgemeinen nicht gerade aufs Maul gefallen.
Ach, nun rühre ich doch mit dem Löffel in meiner Kaffeetasse – für was denn eigentlich, so ohne Zucker?

„Hat Sie jemand geärgert, Frau Bürgisser?“ frage ich ganz vorsichtig über den Tisch, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
Frau Bürgisser streicht mit beiden Händen ein unsichtbares Tischtuch glatt und sagt ganz leise, eher zu sich selbst: „Das habe ich wirklich nicht verdient.....“

Ich warte gespannt, jetzt darf ich sie nicht mehr unterbrechen, jetzt muss ich einfach nur noch warten.
Hier in der Cafeteria des Alterszentrums lerne ich Geduld zu üben, einfach abzuwarten .......
Denn hier geht alles etwas langsamer, alles will gut überlegt sein.
Man hat hier nichts zu pressieren, denn es wartet niemand und nichts – höchstens irgendwann das Abendessen.

„Was glaubt denn die eigentlich ...“
Das ist von ihr wohl eher eine Feststellung, als eine Frage. Trotzig greifen dürre, schmale Hände nach der Papierserviette auf dem Dessertteller.

Anna Bürgisser wohnt schon fast zwei Jahre hier im Altersheim, aber sie ist eigentlich eine Auswärtige. Keine aus dem Städtchen – hat nie da gelebt, sondern drei Dörfer weiter. Aber dort hatte es keinen Platz im Heim, als sie wegen ihren Hüften aus dem Spital nicht mehr nach Hause gehen konnte.

„Sagt die doch, ich sei eine Lügnerin!“
Frau Brügger dreht und windet ihre Serviette zwischen den gichtigen Fingern und richtet sich dabei wieder etwas auf.
„Dabei lügt sie! - Die dumme Gans!“
Die letzten Worte presst sie förmlich durch ihre Zahnlücken, so, dass man sie kaum verstanden hat.

„Wer sagt, dass Sie eine Lügnerin sind?“, frage ich etwas überrascht.
„Nun, Frau Ächerli natürlich, diese dumme Kuh!“, zischt Frau Bürgisser wie eine Schlange. Sie sitzt jetzt wieder ganz gerade aufgerichtet auf ihrem Stuhl und stranguliert weiterhin ihre Serviette.

„Warum?“, frage ich knapp.
„Ja, weisst du ….., die Frau Ächerli sitzt doch beim Nachtessen an meinem Tisch. Gleich auf dem Stuhl neben mir.
Sie kommt immer etwas zu spät …., ist immer etwas in Eile, als ob sie noch so stark beschäftigt wäre. Die will sich doch nur wichtig machen. Und nobel tut die …..! War halt eine Geschäftsfrau, eine Reiche – sagt man. Tja, als ob das hier noch eine Rolle spielen würde.
Anna Bürgisser macht eine kurze Pause und holt Luft.

„Und dann klemmt die mir beim Abhocken (Absitzen) doch tatsächlich meine Finger zwischen den beiden Stuhllehnen ein!“
Frau Bürgisser streckt mir zum Beweis die Finger der rechten Hand entgegen. Ich sehe zwar nichts ausser Haut und Knochen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das schmerzhaft war, so zwischen zwei Stuhllehnen – eingeklemmt!

„Nein!“ entfährt es mir entrüstet, „und dann?“
„Ha, weisst du, wie das schmerzt!“
Ich nicke betroffen. Die alte Frau ist jetzt ganz aus dem Häuschen und das Erzählen geht nun wie am Schnürchen.
„Dann habe ich mich eben ein wenig beschwert – habe gesagt, sie solle doch etwas aufpassen.... und, schon stand eine Pflegerin neben uns und wollte wissen, was den da los sei.“
Ich nicke gespannt: „Und dann?“
„Ja – ich habe ihr gesagt, was sich zugetragen hat – wie es war. Aber diese Frau Ächerli hat immer behautet, dass es gar nicht wahr sei und, dass ich lügen würde. Ich wäre eine Lügnerin! – ja, das durfte diese Person vor meinen Augen sagen!“

Anna Bürgisser ist jetzt voll in Fahrt. An den Nebentischen hat man mit dem Kartenspielen aufgehört. Alles lauscht gespannt.

„Nein, das hat sie gesagt?“
„Ja, vor allen am Tisch – der ganze Speisesaal hat mitgehört!“
Die Serviette in ihren Händen ist nur noch einen Haufen Fetzten.

„Aber Ihr habt Euch doch gewehrt, oder?“
„Ha, ich sagte, dass ich nicht mehr neben dieser frechen Person sitzen wolle.“
„Und ….?“
Anna Bürgisser knickt sichtlich wieder ein und sagt leise:
„Ich musste den Tisch wechseln! Sofort und vor allen. Alle haben dabei zugeschaut und getuschelt.“

„Oha, das tut mir aber leid, Frau Bürgisser.“
Ich ergreife die abgearbeiteten, zittrigen Hände mit der zerfetzten Serviette und streichle leicht über.
Der dunkle Schatten legt sich wieder über das Gesicht von Frau Bürgisser, die Falten werden wieder tiefer, die Augen wieder trüber. Gerade sehe ich noch einen wässerigen Schimmer, bevor sich ihr Blick wieder auf die Tischplatte senkt.

Von einer hauchdünnen Stimme ist zu vernehmen:
„Aber eben, ich bin halt nicht von hier......“



Autor: © isinor (Image-ID: 618602) / pixelio.de


Übrigens,
ich habe gerade heute eine weitere, schöne "Altersheim-Geschichte" bei meiner Blogger-Kollegin: Dekoratz  (klick) gelesen. Ein Klick lohnt sich!


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